Akt II  
         
    Zirkusschule    
    Madame Claire    
       

Langsam, fast widerstrebend schritt Rob über den Zeltplatz. Ein paar Mädchen bauten eine Menschenpyramide. Ein Feuerschlucker entzündete eine Fackel am Lagerfeuer und steckte das Feuer scheinbar mühelos in den Mund. Vor dem großen Zirkuszelt spielte ein Junge auf einem Leierkasten eine Rob unbekannte Melodie. Dann sah er Clooney, den Clown, in der einen Hand Robs Einrad, in der anderen eine lange Stange.
"Schön dich zu sehen! Ich denke, ich habe die Lösung für unsere Probleme!" Die Schminke um Clooneys Mund ließ sein wohl wollendes Lächeln zu einem unnatürlichen Grinsen werden. "Dies ist ein Balance-Stab. Du hältst ihn einfach waagerecht vor dir, während du über die Mauer fährst. Damit fällt es dir leichter, das Gleichgewicht zu halten. Na, was meinst du?"
Clooney war Robs Lehrer im Einradfahren. Er musste es wissen. Also nahm Rob die Stange und betrat das Zirkuszelt. Weder die Manege noch Sitzreihen waren aufgebaut. So bot sich ausreichend Platz für eine Vielzahl Schüler, die ihren Kunststücken für den folgenden Tag den letzten Schliff verpassten. Für Rob ging es darum, sich nicht zu blamieren.
Er fand seine Rampe, nahm mit seinem Einrad Anlauf und fuhr auf die schmale Mauer aus Holzbausteinen, einen guten Meter über dem Boden. Der rotnasige Clooney reichte ihm grinsend die Stange. Etwas wackelig radelte Rob bis zum Ende, den Stab in waagerechter Haltung.
"Yo, das bringt's!" Um einiges sicherer trat Rob jetzt rückwärts in die Pedale, wurde schneller und schneller - bis er das Ende erreichte und rücklängs die Ramp hinabrutschte. "Auuutsch!"
Gelächter von allen Seiten begleitete Robs Missgeschick. Entrüstet richtete der sich auf, formte mit den Fingern eine unhöfliche Geste und stürmte aus dem Zelt.
"Was ist los?" Robs Lehrer schloß keuchend zu ihm auf, drehte den Jungen herum. "Du bist nicht bei der Sache! Akrobat wird man nicht im Schlaf. Hinter jedem Spaß im Zirkus steckt disziplinierte Arbeit!"
"Spaß?", wiederholte Rob. Er zeigte auf das Zirkuszelt. "Für mich gibt's da drin keinen Spaß."
"Warum bist du hier?" Clooney runzelte die weiß angemalte Stirn.
"Weil mein Vater es will. Mein Vater, der Zirkusdirektor, will, dass ich es im Zirkus zu was bringe. Ich will nichts davon."
Rob riss sich los, rannte in Richtung des Zelts, in dem er mit neun anderen Jungen wohnte.
"Das hättest du dir vor drei Wochen überlegen sollen", hallten die Worte des Clowns ihm hinterher. "Jetzt trägst du Verantwortung! Denk an Elena! Denk daran, dass ihr üben müsst! Und sei morgen ausgeschlafen."
Auf seinem Bett wühlte Rob in den Jackentaschen. Dann zog er das gefaltete Poster heraus, das er von den Mitschülerinnen unbeachtet in der Stadt von einer Mauer gelöst hatte. "BATTLE OF THE MIKES", las er, "Hip Hop Jam im Black Tower Club. Freitagnacht, Einlass 19 Uhr..."

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