Elena wusste, dass sie spät dran war, als sie
die Tür des Wohnwagens aufstieß, den sie zusammen mit Lynn
bewohnte. Da an diesem Nachmittag praktisch die Generalprobe anstand,
hatte sie ihre Haare gewaschen, Lippenstift aufgetragen und die für
die Aufführung kunstvoll gestalteten Flügel an ihrem Kostüm
befestigt. Eigentlich hätte Lynn ihr helfen können, doch von
der Zauberin war weit und breit nichts zu sehen.
Elena nahm einen tiefen Atemzug und sprang von der Schwelle. Beinahe fühlte
sie sich, als könne sie wirklich fliegen. Leichten Schrittes eilte
sie zunächst zum Lagerfeuer, wo ein Lehrer ihr eine geröstete
Kartoffel in die Hand drückte, und dann zum großen Zirkuszelt.
Elena wartete das Ende einer Pferdedressur ab, dann hatte sie das geräumige
Zelt für sich.
Am Abend sollte Rob mit seinem Einrad hinzustoßen, denn sie planten
eine gemeinsame Choreografie. Wenn der sich nicht wieder drückte...
Die Akrobatin befestigte zwei lange, rote Tücher an Eisenhaken im Zeltinnendach.
Dann erklomm sie das eine, kletterte bis ganz nach oben und präsentierte
sich einem nicht vorhandenen Publikum. Sie wickelte sich ein, vollführte
eine Rolle und ließ sich elegant heruntergleiten, bis zu einer aufgestapelten
Mauer aus Holzklötzen, von der Rob sie in der Vorstellung auffangen würde.
"Buhuuu!" Ein Gesicht tauchte hinter der Mauer auf! Nicht Robs, sondern
das schwarz angemalte Antlitz eines kräftigen Mannes, dessen Augen
eine purpurne Maske verdeckte. Der Fremde kicherte: "Rob ist nicht da,
Rob ist nicht da. Plumps, da liegt sie unten, arme, kleine Elena!"
"Was soll das! Mir machst du keine Angst", entgegnete die Angesprochene,
die noch halb an dem Tuch baumelte.
"Das ist es ja! Das ist die Gefahr! Sei furchtsam, sei ängstlich, kleine,
arme Elena."
Das Mädchen ließ sich auf die schmale Mauer gleiten, blickte nun auf den
merkwürdigen Eindringling herab. Der trug einen unscheinbaren, schwarzen
Overall mit einer Vielzahl Taschen. Kein Kleidungsstück, das sie schon
einmal bei jemandem gesehen hätte. Dazu kam, dass der Mann seine
Stimme verstellte. "Wer bist du, gib dich zu erkennen!"
"Das Phantom ist getarnt, das Phantom hat's geahnt, arme, kleine Elena
ist gewarnt!" Dann wandte sich der Fremde um und rannte. Bevor er unter
einer Zeltplane verschwand, blickte er noch einmal zurück und warf
der verdutzten Akrobatin ein winziges, glitzerndes Objekt zu.
"Ich habe keine Angst! Wir sind gut, wir haben geübt", rief Elena in den
leeren Raum. Doch ihre Stimme zitterte dabei. "Ich meine... wir werden
noch üben, heute Abend, bestimmt." Die Akrobatin senkte den Blick und
begutachtete den kleinen, metallenen Gegenstand, den sie gefangen hatte:
einen Schlüssel...
Und als Elena ganz in Gedanken von der Holzmauer rutschte, da erblickte
sie noch ein anderes Objekt auf dem staubigen Boden. Sie bückte sich und
hob eine Art hohlen Gummiball auf, an einem Band...
|