Lynn war frustriert. Dass ausgerechnet sie jemand verdächtigen
konnte, ungerecht zu Tieren zu sein, setzte ihr zu. Sie, die sich um Tiere
beinahe genauso sorgte wie um Menschen, sollte Rudi und Trudi gequält
haben? Sie verstand die Welt nicht mehr.
Normalerweise war es Lynns Art, Probleme allein zu lösen, die Dinge selbst
in die Hand zu nehmen. Dieses Problem aber - eine Entführung! - schien
für das Mädchen eine Nummer zu groß. Widerstrebend trottete sie zu Madame
Claires Wohnwagen. Die Tür stand wie immer einladend offen - nicht, dass
es das irgendwie leichter machte. Lynns Lehrerin saß, die eine Hand auf
eine Kristallkugel gestützt, in der anderen einen Stift, vor einem Berg
Notizen.
"Äh, Madame, störe ich? Sehen Sie gerade in die Zukunft?"
"Oh, komm doch rein, mein Kind. Nun, wie man's nimmt, ich plane die Aufbauarbeiten
für morgen. Wie fändest du es, wenn du dich mit Elena zusammen um die
Sitzbänke kümmerst?"
"Es ist was Schlimmes passiert", wechselte Lynn unverblümt das Thema.
Sie zeigte die gefundene Nachricht vor und berichtete vom Verschwinden
der Hunde.
Die Wahrsagerin erbleichte. "Wir müssen sofort die Polizei einschalten",
erklärte sie. Dann tippte sie eine Nummer in ihr Handy.
'Darauf hätte ich auch kommen können', dachte Lynn, irgendwie enttäuscht.
Eher hätte sie erwartet, dass ihre Lehrerin die Kristallkugel verwendet
hätte, um einen Kontakt herzustellen oder dass sie ihre Karten auslegen
würde, um nach den Entführern zu suchen. Aber das war natürlich albern.
Lynn sah, wie Madame Claire am Telefon mehrfach nickte und sich Notizen
machte.
"Sie sagen, es gäbe eine Tierschutzvereinigung mit militanten Tendenzen
in Talbach. Sie würden Ermittlungen aufnehmen", ließ die Wahrsagerin ihre
Schülerin an dem Gespräch teilhaben.
"Und wie lange dauert das? Können wir Rudi und Trudi morgen zurückhaben?"
"Das können sie nicht garantieren", übersetzte Claire. "Sie werden morgen
erst einmal Nachforschungen anstellen, mit den Tierschützern in Verbindung
treten und so weiter. Und wir wissen ja gar nicht, ob es die überhaupt
gewesen sind."
"Das wird zu spät für die Vorstellung", argwöhnte Lynn.
Die Wahrsagerin sprach weiter mit dem Beamten. "Immerhin hätten sie eine
Kontaktadresse für die Vereinigung, sagt er..."
|