Als alle anderen Jungen im Zelt eingeschlafen waren,
machte sich Rob noch einmal auf den Weg zu der Höhle in den Bergen. Er
war einfach zu aufgeregt über seine Erkenntnis, um jetzt schlafen zu können.
Ja, er wollte Artist sein, aber ein Skateboard-Artist!
Leise hüllte er sich in seine dicke Jacke, zog die Mütze tiefer ins Gesicht
und trat hinaus in den Regen, um sich unbemerkt aus dem Zeltlager zu schleichen.
Diesmal hatte er eine Taschenlampe dabei. Er konnte nicht weit leuchten
und wäre auch das eine oder andere Mal fast über eine Zeltschnur gestolpert.
Doch dann stand er am Rande des Wäldchens, das den Campingplatz von den
Bergen trennte.
Rob stapfte im Mondlicht über den matschigen Boden - keine Chance, hier
mit dem Skateboard voran zu kommen. Diesmal ohne Musik unterwegs fand
Rob durchaus Gefallen an dem prasselnden Regen. Einmal meinte er sogar,
eine Eule zu hören.
Nun war er auf dem Wanderweg durch das Gebirge unterwegs. Hier ging es
mit dem Skateboard. Er leuchtete die rechte Seite des Pfades ab, wo immer
neue Felsformationen erschienen. Im Taschenlampenlicht waberten und regten
sich die Formen, so dass Rob einige vorkamen wie Augen, die seinen Weg
verfolgten oder Münder, die mit ihm sprachen. Als wären die Geister der
Berge mit ihm.
Bei aller Faszination für das Felsgestein hätte Rob fast den Einstieg
der Höhle verpasst. Doch er fuhr nochmal einige Meter zurück, und dann
war sie da: die Felsspalte.
Rob zwängte sich hindurch und machte sich bereit zu leuchten. Doch es
brannte schon Licht!
In der Mitte des hohen Raumes saß im Schneidersitz ein blondes Mädchen
vor einer Kerze. Ein kleiner Fuchs turnte um sie herum! Das Mädchen trug
einem grünen Kapuzenpullover, der sie wie eine Magierin in einer mittelalterlichen
Kutte erscheinen ließ.
Lynn!
Und irgendwie machte das alles Sinn. Lynn war schon immer eigenbrötlerisch
und von einer geheimnissvollen Aura umgeben gewesen. Nur selten sah man
sie mit anderen zusammen. Viel lieber schien die Magierin sich in ihre
Bücher zu vergraben. Und so war es auch kein Wunder, dass es Spekulationen
gab über besondere Fähigkeiten, die sie angeblich besaß.
Und hier war Rob ihrem Geheimnis auf die Spur gekommen, hatte herausgefunden,
wohin Lynn sich die ganze Zeit zurückzog. Krass!
Rob stellte aber auch fest, dass er Lynn noch nie so fröhlich und gelöst
erlebt hatte wie hier mit dem kleinen Fuchs. Die kristallgrauen Augen
des Mädchens glänzten hinter ihren Brillengläsern und die hellen Wangen
waren gerötet vor Freude. Noch mehr als das Kerzenlicht war es wohl Lynns
Lächeln gewesen, das ihn beim Betreten der Höhle angestrahlt hatte.
Es war ihm noch nie vorher aufgefallen, dass gerade Lynn so... schön war!
Er hatte aber auch noch nie darüber nachgedacht.
Judy war großartig! Sie ließ sich von Lynn fast so
dressieren wie ein Hund. Nur war sie wesentlich wilder, unberechenbarer
und dazu noch von jugendlichem Temperament. Bei allem Spaß, den Lynn mit
dem anhänglichen Tier hatte, es würde eine ganze Nacht harter Arbeit erfordern,
um bis zum morgigen Tag eine passable Zirkusnummer zu Stande zu bekommen.
Es war ermüdend!
Im Grunde genommen genoss Lynn die Ruhe und Sicherheit, die die Einsamkeit
der Höhle ihr bot. In der Zirkusschule wäre sie viel zu angespannt gewesen,
um mit Judy irgendetwas erreichen zu können - und die Füchsin vermutlich
auch.
Aber es gab Momente, in denen sehnte sie sich jetzt nach einem abendlichen
Gespräch mit Elena in ihrem Wohnwagen. Und es gab auch Augenblicke, da
waren alles, woran sie denken konnte, die tiefen, dunklen Augen von Rob
und seine lässige Art, die Dinge nicht so wichtig zu nehmen.
Und dann stand er einfach vor ihr! Und fragte: "Stimmt es wirklich, dass
du mit Tieren sprechen kannst?"
Und sie fragte sich, ob er das wirklich gefragt hatte.
"Na, du bist ja süß", lachte Lynn, "wer sagt denn sowas?"
"N-na, alle. Ist nur so'n Gerücht."
Hatte sie wirklich 'süß' gesagt? Lynns Satz hallte
in Robs Ohren wider. "Nun, ich denke, alle können in irgendeiner Form
mit Tieren sprechen", meinte Lynn, "nur eben nicht unbedingt durch Worte."
Sie bot Rob, der noch immer bewegungslos am Eingang stand, ihren Zauberstab
an, auf den ein Stück Brot gespießt war. "Komm und probier es aus."
Da war es wieder, dieses strahlende, einladende Lächeln. Lynn hätte sonst
was vorschlagen können, Rob wäre dabei gewesen.
Am Ende trainierten also beide mit Judy den Trick. Und als sie endlich
glücklich und zufrieden nebeneinander gekuschelt in einer Nische der Höhle
einschliefen, ging draußen schon die Sonne auf.
Als die beiden wieder erwachten, war es Mittag. Sie würden die Eröffnung
der Zirkusshow verpassen. Jetzt ging es nur noch darum, rechtzeitig zu
ihren eigenen Auftritten einzutreffen.
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