Akt I    
         
    Talbach    
    Madame Claire    
       

Ferien in der Zirkusschule

"So wird das nie was bis morgen Mittag!" Vorwurfsvoll blickte Elena in die Runde. Sie sah zwei ihrer Mitschüler, die von ihr selbst mit Kleister bestrichene Plakate umständlich an einer Mauer befestigten. Auf den Plakaten war zu lesen: "ZIRKUS PEPERONI in Talbach. Erleben Sie die Abschlussvorstellung der Zirkusschüler dieses Sommers. Sonnabend 13 Uhr, auf dem Campingplatz." Unter dem Text fand man eine Anzahl Schwarz-Weiß-Fotos der jungen Artisten. Lynn bei ihrem Zaubertrick mit den Pudeln. Irgendwo Rob und Elena mit ihrer Akrobatennummer. So wie sie einmal aussehen sollte, wenn sie vernünftig eingeübt war.
"Rooobeeert!", rief Elena in Richtung des Jungen mit der schwarzen Wollmütze und dem ausgeleierten T-Shirt. Rhythmische Rap-Musik war zu hören, als der Angesprochene ein Paar Stöpsel aus seinen Ohren zog. "Ich heiße Rob! Und wenn du so schreist, kann ich mich nicht auf den Job konzentrieren."
"Was kann so schwer daran sein, ein Poster auf eine Wand zu kleben? Du stehst seit einer Minute da und starrst auf die Mauer. Während du dich konzentrierst, kleistere ich zehn Plakate ein!" Tatsächlich zeugten zahlreiche Klekse auf Elenas Schürze, die sie über ihrem bunten Kostüm trug, von hingebungsvollem Einsatz. Auch ihre sonst wild umherwehenden braunen Haare schienen durch einen Anteil Kleister gebändigt.
"Jetzt bleibt doch bitte locker", versuchte die besonnene Lynn die Wogen zu glätten. Die blonde Zauberin rückte ihre Brille zurecht. "Rob kann ja schlecht das Plakat von einer anderen Veranstaltung überkleben, wenn die noch nicht gewesen ist. Außerdem verstehe ich nicht, warum an jede Wand mehrere Plakate müssen... wo doch überall dasselbe draufsteht."
"Yo", meinte Rob, "lasst uns mal chillen. Wir repräsentieren jetzt in der halben Stadt. Weiß nicht, wen wir noch alles zutexten wollen."
"Die ganze Stadt?" Elena hatte die Hände in die Hüften gestemmt, suchte Robs Blick.
Stattdessen war es Lynn, die ihr widersprach: "Müssen überhaupt so viele Leute zugucken? Ich meine, mir wird ganz mulmig zumute, wenn ich sehe, wie viel diese Plakate versprechen... und wie wenig wir dafür getan haben."
Damit war ein wahres Wort gefallen. Sie mussten üben, nicht Plakate kleben! Ohne weiteren Streit sammelten die drei ihre Ausrüstung ein und machten sich auf den Rückweg zum Ferienlager in den Bergen, das in den letzten drei Wochen ihre Heimat gewesen war. 'Noch 24 Stunden', dachte Elena, 'dann ist alles vorbei.' Sie sprachen nicht mehr viel an diesem Nachmittag. Rob war auf seinem Skateboard immer ein gutes Stück voraus. Lynn dagegen schlenderte hinterher, die Nase in ein Zauberbuch vergraben. Elena trug den Rucksack mit den Plakaten und den Eimer mit dem Leim. Und fragte sich, womit sie das verdient hatte.

I. Der Narr II. Die Priesterin III. Die Kaiserin