"So wird das nie was bis morgen Mittag!"
Vorwurfsvoll blickte Elena in die Runde. Sie sah zwei ihrer Mitschüler,
die von ihr selbst mit Kleister bestrichene Plakate umständlich an
einer Mauer befestigten. Auf den Plakaten war zu lesen: "ZIRKUS PEPERONI
in Talbach. Erleben Sie die Abschlussvorstellung der Zirkusschüler
dieses Sommers. Sonnabend 13 Uhr, auf dem Campingplatz." Unter dem
Text fand man eine Anzahl Schwarz-Weiß-Fotos der jungen Artisten.
Lynn bei ihrem Zaubertrick mit den Pudeln. Irgendwo Rob und Elena mit
ihrer Akrobatennummer. So wie sie einmal aussehen sollte, wenn sie vernünftig
eingeübt war.
"Rooobeeert!", rief Elena in Richtung des Jungen mit der schwarzen
Wollmütze und dem ausgeleierten T-Shirt. Rhythmische Rap-Musik war
zu hören, als der Angesprochene ein Paar Stöpsel aus seinen
Ohren zog. "Ich heiße Rob! Und wenn du so schreist, kann ich
mich nicht auf den Job konzentrieren."
"Was kann so schwer daran sein, ein Poster auf eine Wand zu kleben?
Du stehst seit einer Minute da und starrst auf die Mauer. Während
du dich konzentrierst, kleistere ich zehn Plakate ein!" Tatsächlich
zeugten zahlreiche Klekse auf Elenas Schürze, die sie über ihrem
bunten Kostüm trug, von hingebungsvollem Einsatz. Auch ihre sonst
wild umherwehenden braunen Haare schienen durch einen Anteil Kleister
gebändigt.
"Jetzt bleibt doch bitte locker", versuchte die besonnene Lynn
die Wogen zu glätten. Die blonde Zauberin rückte ihre Brille
zurecht. "Rob kann ja schlecht das Plakat von einer anderen Veranstaltung
überkleben, wenn die noch nicht gewesen ist. Außerdem verstehe
ich nicht, warum an jede Wand mehrere Plakate müssen... wo doch überall
dasselbe draufsteht."
"Yo", meinte Rob, "lasst uns mal chillen. Wir repräsentieren
jetzt in der halben Stadt. Weiß nicht, wen wir noch alles zutexten
wollen."
"Die ganze Stadt?" Elena hatte die Hände in die Hüften
gestemmt, suchte Robs Blick.
Stattdessen war es Lynn, die ihr widersprach: "Müssen überhaupt
so viele Leute zugucken? Ich meine, mir wird ganz mulmig zumute, wenn
ich sehe, wie viel diese Plakate versprechen... und wie wenig wir dafür
getan haben."
Damit war ein wahres Wort gefallen. Sie mussten üben, nicht Plakate
kleben! Ohne weiteren Streit sammelten die drei ihre Ausrüstung ein
und machten sich auf den Rückweg zum Ferienlager in den Bergen, das
in den letzten drei Wochen ihre Heimat gewesen war. 'Noch 24 Stunden',
dachte Elena, 'dann ist alles vorbei.' Sie sprachen nicht mehr viel an
diesem Nachmittag. Rob war auf seinem Skateboard immer ein gutes Stück
voraus. Lynn dagegen schlenderte hinterher, die Nase in ein Zauberbuch
vergraben. Elena trug den Rucksack mit den Plakaten und den Eimer mit
dem Leim. Und fragte sich, womit sie das verdient hatte.
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